Nachlese Brennpunkt Alpines Bauen 2021
Beim 8. Fachsymposium Brennpunkt Alpines Bauen am 30.9.2021 diskutierten über 250 Expertinnen und Experten, was der Green Deal für die Bauwirtschaft bedeutet, wie wir in Zukunft zusammenleben wollen und wie wir Klimaneutralität im Gebäudesektor erreichen wollen.
Gebäude sind für ein Drittel der gesamten Emissionen in der Europäischen Union verantwortlich. Sie spielen daher eine zentrale Rolle, wenn die EU das Ziel des European Green Deals, bis 2050 klimaneutral zu werden, erreichen will.
Der European Green Deal, der die EU bis 2050 klimaneutral machen soll, hat große Auswirkungen auf die Bauwirtschaft.
Renovierungen für klimaneutrales Heizen und Kühlen
Der European Green Deal sieht eine Verdopplung der Renovierungsrate bis 2030 vor. Bis dahin sollen 35 Millionen Gebäude saniert werden. Die Dekarbonisierung von Heizen und Kühlen ist bei den Renovierungen ein wesentlicher Aspekt. Das bedeutet, das Gebäude so gebaut werden, dass gar nicht mehr geheizt oder gekühlt werden muss oder dafür erneuerbare Energien verwendet werden. Ein großes Augenmerk liegt dabei auf der Renovierung von öffentlichen Gebäuden und auf den Gebäuden mit den schlechtesten Energiehaushalten. Um die Renovierungswelle in Gang zu bringen, arbeitet die Europäische Kommission aktuell an Gesetzesänderungen, der Ausarbeitung von Normen sowie an Förder- und Informationsprogrammen. So werden aktuell die Gebäuderichtlinie und die Bauprodukteverordnung überarbeitet.
EU-Strategie mit nationaler Umsetzung
Mithilfe der Regularien wird den Mitgliedstaaten Hilfestellung gegeben, nationale Programme zu erstellen. „Europas Regionen haben unterschiedliche Bedürfnisse an Gebäude. Verschiedene Klimazonen sowie kulturelle und ästhetische Aspekte haben Einfluss darauf, wie in einer Region gebaut wird. Von der EU gibt es daher typisierte Lösungen, die auf nationaler Ebene adaptiert werden können“, sagte Keynote Speaker Stefan Moser, Referatsleiter der Generaldirektion Energie bei der Europäischen Kommission.
Die nationalen Maßnahmen werden viele Bauprojekte nach sich ziehen und einen starken wirtschaftlichen Aufschwung in der Baubranche schaffen. Viele Jobs werden in den Regionen entstehen. „Wir brauchen eine große Bandbreite an Fähigkeiten, handwerkliche und digitale. Das sind krisensichere Jobs und damit eine große Chance für die junge Generation“, so Stefan Moser.
Energieausweis als Analysetool für Bestandsgebäude und Innovationstreiber im Neubau
Im Rahmen des Green Deals werden auch die Energieausweise reformiert, um sie aussagekräftiger und auf EU-Ebene vergleichbar zu machen. Damit soll jeder Gebäudetyp auf seine Schwachstellen im Energiehaushalt analysiert werden können.
Dass der Energieausweis ein starkes Hilfsmittel sein kann, den Gebäudebestand zu analysieren, bestätigte auch Daniel Heidenthaler von der FH Salzburg in der Breakout Session „Ressource Energie“. Das Land Salzburg erfasst die Informationen aus den Energieausweisen elektronisch in einer Datenbank. Aus den Informationen, wie zum Beispiel der Baualtersklasse und der Nutzungsprofile, lassen sich Rückschlüsse ziehen, wo Einsparungspotenziale im Energiehaushalt liegen und wie sich das Bau- und Wohnverhalten der Salzburger im Laufe der Zeit verändert. „Der Neubau hat bereits sehr gute Standards. Je älter die Gebäude sind, desto mehr Einsparungspotenzial bezüglich der Energieemissionen gibt es, wenn man diese saniert“, sagte Daniel Heidenthaler.
Ein wesentliches Ziel der Zukunftsagentur Bau ist die bedarfsgerechte und praxisorientierte Abbildung und Berechnung von Bauteilaktivierungen im Energieausweis, da diese vor allem im Neubau zunehmend an Bedeutung gewinnt und Heiz- sowie Kühlsysteme mit hohem Anteil an erneuerbarer Energie ermöglicht. Die Basis für diese Weiterentwicklung bilden Parameterstudien ausgewählter Beispielprojekte. Dafür lud die ZAB Michael Anhammer von Franz&Sue sowie Magdalena Buchner von Duschl Ingenieure ein, innovative Gebäude aus ihrem Portfolio vorzustellen.
Mehr Infos zu thermisch aktivierten Gebäuden finden Sie auf unserer Innovationslandkarte.
Wiederverwertbarkeit von Beton und Altholz für die Bauindustrie
Ein wichtiger Aspekt beim nachhaltigen Bauen ist auch das Recycling von Baumaterialien. In der Session „Bestand als Quelle – Beton und Altholz im Kreislauf“ erklärten Klaus Höckner von der Bautechnische Forschungs- und Versuchsanstalt Salzburg (BVFS) und Hermann Huber von der FH Salzburg, dass bei der Wiederverwertbarkeit von Beton für die Bauindustrie noch ein großer Aufholbedarf bestehe. Im Forschungsprojekt „Circle Concrete“ forschen die BVFS, die Universität Salzburg, der Fachhochschule Salzburg und Salzburger Bauunternehmen an einem Recyclingbetongranulat mit vergleichbarer Qualität wie Normalbeton.
Holz wird in der Bauindustrie weniger verwendet als Beton. Die anhaltende Rohstoffknappheit und der damit verbundene Preisanstieg führt aber zu einer gesteigerten Nachfrage und erhöht die Bedeutung von Holzrecycling. „Die Verwendung von Altholz ist aber rechtlich gesehen noch eine Grauzone, da die Zertifizierung von Altholz nicht geregelt ist“, so Hermann Huber. Damit das in Zukunft möglich wird, arbeiten die ForscherInnen an zusätzlichen Prüfverfahren für weitere Materialtests.
Mehr Infos zum Forschungsprojekt Circle Concrete erfahren Sie hier.
Neue Raum- und Wohnplanung mit European New Bauhaus
Digitale Tools können bei der Planung und dem Bau von Siedlungen und Gebäuden eine zentrale Rolle einnehmen. Der zunehmende Flächenverbrauch ist nämlich ein zusätzliches Problem, das sich auf die Klimabilanz auswirkt. Im Rahmen des Zentrum Alpines Bauen entwickelte das Research Studio iSPACE Modelle für die Raumplanung von Gemeinden mithilfe von Geoinformatiktools, um Potenziale für die Nachverdichtung von Siedlungen zu erkennen. "Kompaktere Siedlungen führen zu einem geringeren Flächenverbrauch, zu einer effizienteren Nutzung von Infrastruktur und auch zu weniger Mobilität", erklärte Sabine Gadocha vom Research Studio iSPACE den Nutzen der Innenentwicklung von Siedlungen in der Breakout Session "Raum und Architektur2.
Solche Tools nützen dem Green Deal, denn es geht dabei auch darum, wie die Menschen in Zukunft zusammenleben wollen. Der Green Deal hat positive Effekte auf das Thema Wohnen und Wohnqualität, welches durch Corona wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt ist. "Mit der Renovierungswelle soll unter anderem auch die Armut, die mit hohen Energiekosten verbunden ist, bekämpft werden", sagt Stefan Moser. Um die kulturellen und sozialen Aspekte mit einzubeziehen, wurde das European New Bauhaus gegründet, eine Initiative, die die Themen Kunst, Kultur, soziale Inklusion, Wissenschaft und Technologie zusammenbringt. "Wir vereinen damit die politischen Vorgaben mit der Frage, wie wir leben wollen", schloss Stefan Moser seinen Vortrag.